Montag, 8. Dezember 2008

Joerg Sommermeyer - "Anton Unbekannt" - Ausschnitt/Leseprobe

Dem heiligen Mantramartin aber, Gott oder das Nichts segnen ihn dafür in seinem Grabe, gefiel in seiner hochherzigen Milde mein verrätselt Werk. „Die Lichtung, in die das Seiende bereitsteht, ist in sich zugleich Verbergung“, schrieb er mir und lud mich ein zu dem von mir so sehnlichst erhofften Gerede und führte mich über den Feldweg auf die Holzwege, bis er sich schließlich über sich selbst reflektierend zurück- und zu mir Geisteswinzling herniederbeugte und mich anherrschte:

"Schreiben Sie Anton"

Es ist durchaus denkbar, seiner mündlichen Äußerung war das freilich nicht anzuhören und schon gar nicht anzusehen, dass er sich vielleicht ein Komma zwischen »Sie« und »Anton« und ein Ausrufezeichen am Satzende dachte und in seiner Alterswirrheit (meine heutige Mutmaßung; damals, das schwöre ich, bemerkte ich nichts dergleichen, unauffällig wie er war; abgesehen davon, dass er, wie mir heute scheint, wenn ich darüber nachgrüble und es mir immer wieder mit aller Kraft vergegenwärtige »Anton« schrie, beide Silben scharf und deutlich skandierend, mit gewaltigem Nachdruck auf »on« und einer winzigen, kaum wahrnehmbaren Zäsur) mich für seinen Sekretär, einen Tippser hielt, eilfertig und diensteifrig bereitstehend für die Aufzeichnung und Bewahrung des Heideggerschen Geistes mancando.

(Joerg Sommermeyer: A N T O N UNBEKANNT, Pat[(h)o/a] physischer Antiroman, Tragigroteskenfragment, 1. Aufl. 2009, Orlando Syrg, Berlin, Dezember 2008)

Neuerscheinung "A N T O N UNBEKANNT" von Joerg Sommermeyer

Anton Unbekannt, ein Antiroman, dessen Anfänge in den 70igern wurzeln, ein Fragment, dessen Splitter in unsere Zeit dringen. Wahrheit und Lüge, Wirklichkeit und Fiktion im Spiegel des schrecklich schönen 20. Jahrhunderts. Verwirrspiele, Vexierbilder, enigmatischer Rollentausch, Unkenntlichkeit, Zerrissenheit, gläubiger Atheismus und vice versa gottloser Glaube, permanente (Enten-)Täuschung? Eine „Quester Legend“? Wer oder was war/ist Anton, seine Mutter, sein Vater, seine Großeltern? Die Suche nach Antons Ahnen, seinem Ursprung, seiner Identität reicht von Auschwitz „zurück in die Zukunft“ des 21. Jahrhunderts. Das Kind einer unmöglichen, wunderbaren Liebe zweier KZ-Häftlinge, eines kommunistischen Gitarrenbauers und einer jüdischen Sängerin? Die Frucht medizinisch-genetischer Manipulationen eines Naziverbrechers in Weiß? Wer zeugte Anton? Wer ist Antons wirklicher Vater? Welche Gene (gentes) schlummern in ihm? Was enthüllt das Rot(h)e Album? Die Spur führt quer durch Metropolen des alten Europas hinüber in die USA, wo blutbefleckt, das Schwarze Buch, die streng geheime, medizinische Dokumentation aus den Lagern versteckt gehalten wird. BND, FBI, CIA, NSA, KGB, SIS, DRM, Mossad und Zhong Chan Er Bu sind involviert? Biogenetiker verwerten die Erkenntnisse des Bösen, vertiefen sie, bauen darauf und hoffen auf sensationelle Klonerfolge? Ein Richter taucht auf, ein Rächer kommt? Handelt es sich „nur“ um Hirngespinste eines Verrückten und/oder seiner wahnsinnigen Mutter, seiner durch das Lager traumatisierten „Großeltern“? Eine Tragigroteske?
Alles ist aus dem Lot, damals wie auch heute noch. Viele haben ihren wahren Glauben verloren, beten Götzen an, werfen sich in den Dreck vor dem goldenen Kalb, irren verwirrt in unserer selbst geschaffenen, absurden, konvulsivischen Welt umher, voll von Spasmen aufeinanderfolgender immer blutiger werdender Krisen, arrangieren sich in opportunistischen Gesellschaften, die virtuellen Schein für real nehmen. Durch eine radikal der Menschheit entfremdete Heimat schlendern jetzt Spukgestalten, spazieren fleischgeworden Ängste, schwärmen frustriert Sehnsüchte, flanieren virulente Alpträume und regen sich fantastische Schrecken.
JS fordert den Einfallsreichtum des aktiven Lesers heraus, der sich vieles selbst erfinden darf, soll und kann! Vielleicht werden wir ja aber noch alles ganz genau von ihm erfahren, falls JS sein mir gegebenes Versprechen wahrmacht und 2022 die total-universelle Geschichte herausrücken wollte? In der Zwischenzeit begnügen wir uns mit der Skizze, dem Fragment, einem Rohbau (falls noch etwas erscheinen sollte), oder der Ruine (falls nichts mehr daraus wird).

Georg J. Feurig-Sorgenfrei, Berlin, 22. November 2008